Familientherapie

Heute um 8 Uhr morgens hatte ich einen ganz besonderen Termin.

Adrian geht schon seit einiger Zeit- wie lange weiß ich nicht, seit ich von der Familie getrennt lebe bin ich nicht mehr so stark im Bilde – zu einem Therapeuten. Heute nun war eine Familiensitzung angesagt. Zuerst bedankte sich der Therapeut – nennen wir ihn einfach B.- das wir überhaupt erschienen sind, denn bei Familien, die nicht mehr zusammen leben sei das nicht selbstverständlich. Das Ziel dieser Sitzung sei eine Operationalisierung der Therapie festzulegen. Auf deutsch heißt das, wir sollen uns darüber Gedanken machen, woran wir denn erkennen, das die Therapie bei Adrian anschlägt.

Zu Beginn machte er mit uns eine kleine Übung: Wir sollten uns vorstellen, dass heute Nacht eine Fee zu uns gekommen wäre und uns unsere Wünsche in Bezug auf die Familie erfüllt hätte. Natürlich hat uns die Fee davon nichts gesagt und wir sollten auf einen Zettel schreiben, woran wir das denn erkennen würden, das unsere Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Interessant fand ich die unterschiedlichen Antworten. Ich schrieb hauptsächlich über das Familienleben, das ich nie hatte und jetzt auch natürlich auch nicht mehr habe. Ich schrieb, das wir zusammen Frühstück machen würden, das kein Streit herrscht, das unsere Kinder mit einander freundlich umgehen und ich eine geregelte Arbeit hätte. Susanne schrieb hauptsächlich über Adrian, dass er in der Früh fröhlich sei, dass er ein guter Schüler sei, dass er nicht mehr Eifersüchtig auf Aurelia wäre und noch weitere ähnliche Punkte. Adrian schließlich schrieb, dass wir wieder zusammen wären, dass er gerne öfter beim Papa wäre. Für mich waren die unterschiedlichen Themen der Zettel gerade bei Susanne und mir typisch. Ich drückte den Wunsch nach einem angenehmen Familienleben aus. Bei Susannes Zettel ging es nur um Adrian. Jeder ihrer Zettel handelte von Adrian. Ich habe das beim Gespräch nicht zur Sprache gebracht, doch aufgefallen ist es mir.

Ob wir das eingangs gestellte Ziel erreicht haben? Ich glaube nicht. Wenn ich jetzt an diese Stunde zurückdenke kann ich mich gar nicht mehr an so vieles Erinnern. Ich hätte diesen Eintrag gleich nach der Sitzung schreiben sollen, als die Eindrücke noch frisch waren. Jetzt ist es Abend und die Eindrücke verblassen und verblassen immer weiter.

Wir redeten über die Schullaufbahn von Adrian und Herr B. sagte uns, wir sollten den Druck etwas von Adrian nehmen und er sähe ihn auf keinen Fall auf dem Gymnasium, das hätten seine Tests eindeutig ergeben. Zwischen den Zeilen teilte er uns mit, dass seiner Meinung nach Adrian auf eine Sonderschule gehöre. Ich merkte dann an, das ich diesen Test nicht weiter traue als das ich sie schmeißen kann. Natürlich biss ich mit meiner ironischen Bemerkung bei ihm auf Granit, denn jeder, der diese Tests anwendet ist davon überzeugt, dass sie richtig sind. Genauso wie solche Leistungserhebungen Genies schaffen können, können sie auch Sonderschüler und Fabrikarbeiter schaffen. Voraussetzung ist immer, dass man an sie glaubt.

Nun, ich glaube nicht daran. Ich glaube daran, dass man meinen Sohn optimal fördern muss und fördern kann.